Die Polizei kann nicht die Größe von Transparenten und Banner für eine komplette Demonstration untersagen – OVG-NRW vom 27.08.2021

Mit dem Beschluss vom 27.08.2021 (abends spät) hob das Oberverwaltungsgericht NRW (B. v. 27.08.2021 Az.: 15 B 1414/21) die Entscheidung der Verwaltungsgericht Düsseldorf (B. vom. 27.08.2021 Az. 18 L 1872/2021) auf, wonach die Auflage der Polizei Düsseldorf rechtmäßig wäre, der kompletten Demonstration für den 28.08.2021 in Düsseldorf „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ zu bestimmen, dass Transparente und Banner eine Länge von 6 und Höhe von 1 Meter nicht überschreiten dürfen.

Die Polizei hatte Im konkreten Fall eine nachvollziehbare Prognose getroffen, es bestehe die Gefahr der Begehung von Straftaten. Das hätten einschlägige Erfahrungen bei einer vorangegangenen Versammlung mit dem gleichen Thema gezeigt. Das OVG NRW stellte hierzu jedoch klar, das bloße Verdachtsmomente und Vermutungen nicht ausreichen, um eine derartige Auflage der ganzen Versammlung auf zu erlegen. ‚Die Beweislast hinsichtlich der angeblichen Gefahrenprognose läge allein bei der Polizei.

Beschluss OVG-NRW vom 27.08.2021 Az.: 15 B 1414/21

Redaktionelle Leitsätze

  • Die auferlegte Auflage des Bescheids der Polizei Düsseldorf vom 24. August 2021 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich insoweit als rechtswidrig, als über den vorgesehenen Antifa-Block hinaus sämtlichen Versammlungsteilnehmern das Verwenden von Bannern oder Transparenten mit einem Maß von mehr als 600 x 100 cm untersagt wird.
  • Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.
  • Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Annahme des Verwaltungsgerichts Düsseldorf (B. v. 27.08.2021, Az.: 18 L 1 872/21), der Antragsgegner habe hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan, dass die Nutzung großer Transparente auf der Versammlung – auch ohne Verknüpfung – eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von S 15 Abs. 1 VersG darstellt, nur für einen Teil der geplanten Versammlung als gerechtfertigt.

15 B 1414/21           

Beglaubigte Abschrift

18 L 1 872/21 Düsseldorf

In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren

des Herrn

Antragstellers,

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Jasper Prigge,  Düsseldorf,

das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Polizeipräsidium Düsseldorf, Haroldstraße 5, 40213 Düsseldorf

Antragsgegner,

wegen  Versammlungsrecht hier: Beschwerde gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes

hat der 15. Senat des OBERVERWALTUNGSGERICHTS FüR DAS LAND NORDRHEIN-WESTFALEN

am 27. August 2021 um 22:15 Uhr durch

den Richter am Oberverwaltungsgericht Rauschenberg,

den Richter am Oberverwaltungsgericht Dr.Korella,

den Richter am Oberverwaltungsgericht Basteck

auf die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 27. August 2021 beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird teilweise geändert.

Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 24. August 2021 wird hinsichtlich der Auflage

unter Ziffer 4 Satz 2 insoweit wiederhergestellt, als danach bei der vorgesehenen blockweisen Durchführung der Versammlung außerhalb des AntifaBlocks Banner und Transparente das Maß von 600 x 1 00 cm nicht überschreiten dürfen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens tragen hinsichtlich der ersten Instanz der Antragsteller zu 1/4 und der Antragsgegner zu 3/4, hinsichtlich der Beschwerdeinstanz in vollem Umfang der Antragsgegner.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- € festgesetzt.

G r ü n d e:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Die im Beschwerdeverfahren allein noch verfahrensgegenständliche Auflage unter Ziffer 4 Satz 2 des Bescheids des Antragsgegners vom 24. August 2021 erweist sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und auch nur gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich insoweit als rechtswidrig, als über den vorgesehenen Antifa-Block hinaus sämtlichen Versammlungsteilnehmern das Verwenden von Bannern oder Transparenten mit einem Maß von mehr als 600 x 100 cm untersagt wird.

Gemäß S 15 Abs. 1 VersG kann die zuständige Behörde die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.

Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben.

Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Gibt es neben Anhaltspunkten für die von der Behörde und den Gerichten zugrunde gelegte Gefahrenprognose auch Gegenindizien, haben sich die Behörde und die Gerichte auch mit diesen in einer den Grundrechtsschutz des Art. 8 Abs. 1 GG hinreichend berücksichtigenden Weise auseinanderzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Auflage liegt grundsätzlich bei der Behörde.

Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 – I BvR 2794/10 -, juris Rn. 17, vom 12. Mai 2010 – I BvR 2636/04 juris Rn. 17, vom 4. September 2009 – I BvR 2147/09 juris Rn. 9 und 13, vom April 2001 – I BvQ 8/01 -, juris Rn. 1 1 f., vom 18. August 2000 – l BvQ 23/00 juris Rn. 32 ff., vom l . Dezember 1992 – I BvR 88/91 , I BvR 576/91 Ju ris Rn. 52, und vom 14. Mai 1985 – I BvR 233/81 , I BvR 341/81 -, juris Rn. 80 – Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. April 2017 – 15 B 491/1 7 juris Rn. 6, vom 30. Januar 2017 – 15 A 296/16 juris Rn. 10, vom 29. Dezember 2016 – 15 B 1500/16 juris Rn. 17, vom 7. Oktober 2016 – 15 B 1 154/16 juris Rn. 8, vom 29. Juli 2016 – 15 B 875/16 juris Rn. 6, und vom 21 . Oktober 2015 – 15 B 1201/15 juris Rn. 10.
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit darf die Behörde auch bei dem Erlass von Auflagen keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose stellen. Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 – I BvR 2794/10 juris Rn. 17, vom 5. September 2003 – I BvQ 32/03 juris Rn. 30, und vom 14. Mai 1985 – I BvR 233/81 , I BvR 341/81 juris Rn. 79 Brokdorf; OVG NRW, Beschlüsse vom 27. April 2017 – 15 B 491/1 7 juris Rn. 8, vom 30. Januar 2017 – 15 A 296/16 -, juris Rn. 12, vom 29. Dezember 2016 – 15 B 1500/16 juris Rn. 19, vom 7. Oktober 2016 – 15 B 1 154/16 juris Rn. 10, vom 29. Juli 2016 – 15 B 875/16 juris Rn. 8, und vom 21 . Oktober 2015 – 15 B 1201/15 -, juris Rn. 12.

Nach diesen Maßgaben kann das Mitführen von Bannern und Transparenten nicht allein wegen der allgemeinen Möglichkeit ihres Missbrauchs zur Verhinderung der Identifizierung von Störern untersagt oder reglementiert werden. Es bedarf vielmehr konkreter und nachvollziehbarer tatsächlicher Anhaltspunkte dafür, dass das Mitführen der Transparente – bzw. deren Größe – die öffentliche Sicherheit und Ordnung unmittelbar gefährdet. Eine derartige Prognose kann die Versammlungsbehörde etwa auch mit konkreten Vorfällen belegen, die sich in der Vergangenheit in vergleichbaren (Versammlungs-)Situationen ereignet haben.

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3, November 2017 15 B 1371/17 juris Rn. I l , m. w. N.; Sächs. OVC, Urteil vom 31 . Mai 2018 – 3 A 199/18 juris Rn. 25; so auch VG Neustadt a. d. Weinstraße, Beschluss vom 5. Oktober 2018 – 5 L 1338/1 8aNW juris Rn. 6  

Gemessen an diesen Maßstäben erweist sich die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür dargetan, dass die Nutzung großer Transparente auf der Versammlung – auch ohne Verknüpfung – eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Sinne von S 15 Abs. 1 VersG darstellt, nur für einen Teil der geplanten Versammlung als gerechtfertigt. Ausweislich der öffentlich bekannt gemachten Planungen des Antragstellers zur Durchführung der Versammlung, vgl.https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/grossdemonstration-in-duesseldorf-28-08/infos-zur-grossdemonstration-am-28-08-2021/ 

und des Inhalts des Kooperationsgesprächs soll die Versammlung – wie schon eine vorangegangene am 26. Juni 2021, die der Antragsteller zum gleichen Thema und unter dem gleichen Titel angemeldet hatte – in Blockeinteilung durchgeführt werden. Mit Blick auf den erneut vorgesehenen Antifa-Block stellt sich die Gefahrenprognose des Antragsgegners als tragfähig dar Insoweit wird auf die diesbezüglichen Gründe des angefochtenen Beschlusses wird Bezug genommen. Ebenso wie das Verwaltungsgericht sieht der Senat keinen Anlass, an der Schilderung des Antragsgegners hinsichtlich des Ablaufs der am 26. Juni 2021 durchgeführten Versammlung zu zweifeln, die er im erstinstanzlichen Eilverfahren um weitere Details ergänzt hat. Das hiernach im damaligen Antifa-Block festgestellte Geschehen, wonach Pyrotechnik entzündet wurde, Teilnehmer des Blocks sich durch Verknüpfen von (Seiten-)Transparenten und Hochhalten von Regenschirmen und Transparenten faktisch verdeckten und es aus diesem Block zu Flaschenwürfen, Beleidigungen und Angriffen auf Polizeibeamte gekommen sei, und das nicht konsequente Einschreiten der Versammlungsleitung tragen die Gefahrenprognose des Antragsgegners, dass das Verwenden großflächigen Sichtschutzes die Begehung von Straftaten etwa nach S 223 oder S 185 StGB in diesem Block befürchten lässt. Auch unter Berücksichtigung der ihm für die Verfolgung gerichtlichen Rechtsschutzes zur Verfügung stehenden Zeit stellt der Antragsteller die diesbezüglichen Annahmen des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Zweifel, soweit er die Schilderungen des Antragsgegners bloß bestreitet und eine unkritische Übernahme dieser Darstellungen rügt. Auch aus dem vom Antragsteller angeführten Video (abrufbar unter https://www.youtube.com/watch?v=f5Ndpf18s74), das nur einzelne Szenen und Aussagen ohne das jeweilige Vorgeschehen zeigt, und einer von ihm zitierten, eine einzige Fragestellung betreffenden Pressemitteilung ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte, um an der Gefahrenprognose zu zweifeln.

Der Einwand der Beschwerde, es mache mit Blick auf eine Verringerung der Sichtschutzmöglichkeiten keinen Unterschied, ob man ein 1 m oder 1 ,5 m hohes Banner „vor das Gesicht zieht“, vernachlässigt, dass die Auflage auf eine Verhinderung von Straftaten zielt. Ihr Zweck erschöpft sich daher nicht allein in einer Erleichterung der Identifikation von Straftätern, sondern bezieht auch mit ein, dass ein großflächiger Sichtschutz die polizeilichen Möglichkeiten zur Wahrnehmung und Verhinderung strafbaren Handelns erheblich beeinträchtigt.

Hinsichtlich der Teilnehmergruppen im Übrigen erachtet der Senat die zum Zwecke der Verhinderung der Gefahr unter Ziffer 4 Satz 2 verfügte Auflage aber nicht für verhältnismäßig. Im Ansatz zu Recht sieht die Beschwerde in der Größenbeschränkung eine erhebliche Beeinträchtigung der Möglichkeiten einer inhaltlichen Selbstdarstellung der Versammlung. Diese trifft alle Versammlungsteilnehmer und damit selbst diejenigen in den zahlreichen anderen Blöcken, hinsichtlich derer es von der vergangenen Versammlung vom 26. Juni 2021 keine Berichte über vergleichbare Vorfälle mit großflächigen oder großflächig verknüpften Transparenten oder Anhaltspunkte für vergleichbare Gefahrenlagen gibt. Soweit das Verwaltungsgericht eine gleiche Eignung der Beschränkung der Auflage auf den Antifa-Block mit Blick auf die gleichwohl fortbestehende Möglichkeit der Begehung vergleichbarer Straftaten verneint hat, mag dem zwar insoweit beizupflichten sein, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass Teilnehmer aus dem Antifa-Block in einen anderen Block wechseln. Dass dort aber gleichermaßen zur Begehung von Straftaten und Verhinderung einer Identifizierung ein „Verschanzen“ hinter dort nicht verbotenen großflächigen Transparenten zu befürchten wäre, stellt eine bloße Mutmaßung dar, auf die sich allein aufgrund der Vorfälle im Antifa-Block nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schließen lässt. Es spricht vielmehr überwiegendes dafür, dass in den einheitlichen und nach Aktenlage bisher nicht auffällig gewordenen Gruppierungen in den anderen Blöcken ein gemeinschaftliches „Verbarrikadieren“ größerer Personengruppen hinter großflächigen Plakaten mit dem Ziel, Straftaten zu begehen und deren Aufklärung zu erschweren, deutlich schwerer möglich ist. Vor diesem Hintergrund erweist es sich bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich jedenfalls als unangemessen, sämtliche Versammlungsteilnehmer in der beabsichtigten Meinungskundgabe erheblich einzuschränken, zumal in der Kürze der verbleibenden Zeit bis zu der geplanten Versammlung schon vorbereitete Transparente oder Banner, die eine Höhe von 1 m überschreiten, nur schwer zu ändern oder ersetzen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus S 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO und berücksichtigt, dass der Streitgegenstand in zweiter Instanz – mit der Folge eines unterschiedlich zu gewichtenden Obsiegens bzw. Unterliegens – auf die unter Ziffer 4 Satz 2 verfügte Auflage beschränkt ist. Hinsichtlich der in der Beschwerdeinstanz allein noch verfahrensgegenständlichen Auflage unter Ziffer 4 Satz 2 geht der Senat mit Blick darauf, dass die Auflage nur hinsichtlich eines von elf Blöcken vollziehbar bleibt, von einem nur geringen Teil des Unterliegens des Antragstellers i. S. v. S 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO aus.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf SS 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (S 152 Abs. 1 VwGO, SS 68 Abs. I Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Rauschenberg                          Dr. Korella                                       Basteck